Engin Eroglu, Europaabgeordneter der FREIE WÄHLER, Mitglied des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten erklärt: „Natürlich dürfen wir uns nicht unter Zeitdruck zum Handeln zwingen lassen. Es muss dessen ungeachtet weiterhin anerkannt werden, dass die Türkei mit 3,9 Millionen Flüchtlingen, darunter fast 3,6 Millionen Syrer und 400.000 Asylsuchende und Geflüchtete vor allem aus Afghanistan, Irak und Iran, nach wie vor die größte Zahl an Geflüchteten weltweit aufnimmt. Das Land benötigt dazu erhebliche Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft, um die Menschen erfolgreich in ihre nationalen Strukturen und Programme zu integrieren und zu versorgen. Der Mut und die Großzügigkeit, die Länder wie die Türkei, Jordanien oder der Libanon gezeigt haben, muss hochgeschätzt werden: Sie haben ihre Türen für Millionen von Menschen in Not geöffnet, als der Rest der Welt nahezu untätig blieb. Diese Länder haben tausende Menschen vorm sicheren Tod gerettet. Diese Leben sind nicht mit Geld aufzuwiegen.“
Auch in der aktuellen Debatte um den Flüchtlingsstreit, mahnt Eroglu die Situation der türkischen Regierung müsse sachlich betrachtet werden, um nachhaltige Lösungen zu finden: „Durch militärische Rückschläge in Syrien, außenpolitische Spannungen mit internationalen Partnern und innenpolitischen Druck steht der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan mit dem Rücken zur Wand. Die türkische Anti-Flüchtlings-Welle im Land ist für Erdogan jetzt eine Bewegung, die nur noch auf einen Anführer wartet. Deshalb glaubt er, sowohl innen- als auch außenpolitisch handeln zu müssen, bevor dies ein anderer tut. Dabei sollten wir auch im Auge behalten, dass sich in der Türkei Abspaltungen von der Regierungspartei abzeichnen, die eine noch konservativere Linie verfolgen als Erdogans AKP. Das könnte für die EU in Zukunft ebenfalls zum Problem werden, wenn sich weiter antidemokratische Kräfte dort etablieren.“
Eroglu weiter: „Das eigentliche Problem ist, dass die Last konsequent auf die Schultern derjenigen gelegt wird, die sie oft am wenigsten tragen können. Die Hälfte der Flüchtlinge der Welt lebt in nur zehn Ländern: Neben der Türkei, dem Libanon und Jordanien gehören Pakistan, Uganda, Iran und Äthiopien dazu. Alle bis auf eines dieser Länder befindet sich im globalen Süden, und ihr durchschnittliches Pro-Kopf-BIP beträgt kaum mehr als 3.800 US-Dollar. Umgerechnet auf die BIP-Stärke der Länder würde dies für Deutschland eine Belastung von etwa 20 Millionen Flüchtlingen entsprechen. Dies lässt erahnen, welche wirtschaftliche Belastung dies darstellt, die kein Land allein schultern kann. Diese Dimensionen muss man sich vor Augen führen und in Relation setzten, um die Situation wirklich zu verstehen. Keine Regierung, die Geflüchtete aufnimmt, verdient damit Geld. Das ist blanker Populismus, der auf dem Rücken der Schutzsuchenden ausgetragen wird. Selbst die UN, genauer der UNHCR, hat laut einem seiner letzten Berichte erst 6 Prozent von den 350.4 Millionen US-Dollar erhalten, die für das Jahr 2020 für die Versorgung der Geflüchteten in der Türkei dringend gebraucht werden. Mit dem Fortdauern des Konflikts in Syrien nimmt die Verwundbarkeit der syrischen Geflüchteten weiter zu. Die Ressourcen, über die sie bei ihrer ersten Flucht verfügten, sind längst erschöpft. Die Bedürfnisse dieser Menschen stellen eine zunehmende Belastung für die nationalen Systeme und Ressourcen der Aufnahmeländer und -gemeinschaften dar.“
Eroglu fordert den Einsatz von Soldaten in Idlib und bekräftigt die Verlagerung des strategischen Schwerpunkts in Syrien: „Der Konflikt in Syrien ist nach wie vor die Ursache für die größte Anzahl von Vertriebenen und Geflüchteten in der Welt. Allein innerhalb von Syrien sind laut UN sechs Millionen intern Vertriebene, 2,5 Millionen davon sind Kinder. Der Schwerpunkt muss auf dem liegen, was langfristig geschehen sollte. Dabei sollte die Notwendigkeit unterstrichen werden, militärische Aktionen mit politischen Strategien zu verknüpfen. Wir müssen uns ernsthaft damit beschäftigen, nachhaltige Lösungsstrategien zu finden, und nicht bloß erst im Angesicht einer Situation handeln, wo Schutzsuchende bereits an den Grenzen stehen. Schon jetzt gibt es Verstöße gegen die Waffenruhe in Idlib zwischen der russischen und türkischen Regierung und die Bevölkerung ist weiterhin mit Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit konfrontiert. Wir müssen also einen Schritt weitergehen als bisher und unserer internationalen Schutzverantwortung nachzukommen; eine Koalition der Willigen und die Entsendung von Truppen wäre eine Möglichkeit dies zu tun. Sie könnten unter UN Mandat die am stärksten vom Krieg betroffenen Gebieten wie Idlib militärisch stabilisieren. Dadurch werden die Menschen vor Ort vor den Kriegshandlungen zwischen den verfeindeten Parteien, allen voran dem Assad Regime, geschützt. Der Syrienkonflikt ist ein Fall, der seit Jahren nach der Umsetzung der Schutzverantwortung verlangt, aber niemand zeigt irgendeine Verantwortung. Anstatt wie in Libyen anschließend das Land zu verlassen, ohne ein Netzwerk zu schaffen, das zum Wiederaufbau beiträgt, müsste man zudem in Syrien im Anschluss Wiederaufbaumaßnahmen unterstützen. In diesem Sinne fordere ich die Bundesregierung dazu auf, Schritte zu unternehmen, um ein solches Vorgehen zu ermöglichen.“