Die Ampel-Bundesregierung will einem veralteten EU-Beschluss zustimmen, der Deutschland zur Einführung einer Sperrklausel zur Europawahl von 2% zwingen würde. Mehr noch, der Beschluss, falls von Bundestag und Bundesrat bestätigt, würde mehrere Urteile des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit von Sperrklauseln aushebeln („EU-Wahlakt-Zustimmungsgesetz“). Eine entsprechende Änderung des Wahlrechts noch vor der Europawahl 2024 ist laut wissenschaftlichem Dienst des Bundestag jedoch verfassungswidrig.
Engin Eroglu, Europaabgeordneter FREIE WÄHLER kommentiert:
„Die Ampel beschneidet mit der geplanten Zwei-Prozent-Hürde die politische Vielfalt unnötig. Demokratie lebt davon, dass verschiedene Meinungen und Parteien in den Parlamenten die Bürger vertreten. Im Europaparlament funktioniert das aktuell im Rahmen seiner Fraktionen hervorragend. Ein- und Zwei-Personen-Delegationen sind im Europäischen Parlament eher die Regel als die Ausnahme - schließlich haben viele EU-Staaten nur eine einstellige Anzahl an Abgeordneten. Innerhalb ihrer Fraktionen können auch kleine Delegationen viel bewirken und konstruktiv arbeiten, wie auch das Bundesverfassungsgericht schon anerkannt hat. Es gibt aus Sicht der FREIE WÄHLER keine sachlogische Begründung, die eine Prozenthürde bei Europawahl erfordert. Die großen Parteien wollen sich nur zusätzliche Mandate erschleichen.“
Auch die Europaabgeordneten Dr. Patrick Breyer (Piratenpartei), Damian Boeselager (Volt), Manuela Ripa (ÖDP) prangern die Entscheidung an:
„Diese schamlose Selbstbedienung ist ein Affront gegen das Bundesverfassungsgericht und ein Anschlag auf unsere Demokratie. Mit der geplanten Sperrklausel von 2% wären bei der letzten Europawahl 1,7 Mio. Wählerstimmen für sechs kleine Parteien wie die Piratenpartei, Volt Europa, Freie Wähler und ÖDP wertlos verfallen. Stattdessen würden die Stimmen an das politische Establishment gehen. Die EU darf nicht als Vehikel für eigennützige Sperrklauselpläne der etablierten Parteien missbraucht werden, die ihre eingebrochenen Wahlergebnisse kompensieren wollen! Die etablierten Parteien wollen eine Hürde, um a) sich Wettbewerber und innovative Parteien vom Leib zu halten, b) so weitermachen zu können wie gehabt und c) um unangenehmen Fragen zu ihrer Arbeit im Europaparlament aus dem Weg zu gehen.
Europa braucht mehr Vielfalt, mehr Wettbewerb, mehr Mitbestimmung und politische Ideen, nicht weniger. Wer Millionen von Bürgerinnen und Bürgern, die von den etablierten Parteien enttäuscht sind, keine andere Wahl lässt, lässt sie insgesamt der Wahlurne den Rücken kehren. Dies schadet unserer Demokratie und gefährdet Europa.
Die Mär von Zersplitterung oder verminderter Arbeitsfähigkeit des Europaparlaments wird dadurch widerlegt, dass fast alle Abgeordnete von Kleinparteien Mitglied einer der großen Fraktionen sind. Es sind bereits etwa 200 Parteien im Europaparlament aus 27 Ländern vertreten. Diese 200 Parteien organisieren sich in 7 politischen Fraktionen. Seit mehr als 40 Jahren ist das so. Und seit der Aufhebung der Hürde für die Europawahlen in Deutschland in 2009 hat sich daran auch nichts geändert! Wir werden zusammen alle rechtlichen Schritte ausschöpfen, um diesen Angriff auf Demokratie und Vielfalt in Europa zu stoppen!”
Hintergrund:
Die umstrittene EU-Wahlrechtsreform 2018 lag bisher auf Eis, weil auf EU-Ebene ein neues Reformpaket verhandelt wird. Das Bundesverfassungsgericht hatte Sperrklauseln zur Europawahl wiederholt für verfassungswidrig erklärt. Die Große Koalition hatte 2018 daraufhin auf EU-Ebene eine Mini-Wahlrechtsreform durchgesetzt, die im Wesentlichen ausschließlich die Einführung einer Sperrklausel von mindestens 2% vorschreibt. Vom Grundgesetz abweichen kann Deutschland nur, wenn zwei Drittel der Mitglieder des Bundestags und des Bundesrats zustimmen.
Ins Europaparlament sind 2019 Abgeordnete 14 deutscher Parteien eingezogen, von denen aber nur ein Abgeordneter – Martin Sonneborn – fraktionslos blieb und zu der angeblichen “Zersplitterung” beitrug. Mit einer Sperrklausel von 2% bei der Europawahl 2019 wären 1,7 Mio. Wählerstimmen für kleine Parteien wie die Piratenpartei verfallen und deren fünf Parlamentssitze stattdessen an CDU, CSU, FDP, Linke und die PARTEI gegangen.
Am 18. Juli 2018 hatte der Rat der Europäischen Union einen Beschluss zur Änderung des Akts zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Mitglieder des Europäischen Parlaments gefasst. Die Bestimmungen sehen für Mitgliedstaaten mit mehr als 35 Sitzen im Europäischen Parlament eine verbindliche Sperrklausel in Höhe von 2 bis 5% vor. Diese Neuregelung tritt jedoch nur dann in Kraft, wenn sie von sämtlichen EU-Staaten ratifiziert wird.
In der Antwort des Rates auf die Anfrage Breyers heißt es: „Der Vertrag sieht weder eine rechtliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten vor, diesen Bestimmungen zuzustimmen, noch eine Frist für ein solches Verfahren. Die für das Inkrafttreten des Beschlusses 2018/994 des Rates erforderlichen Mitteilungen über die Zustimmung Zyperns, Deutschlands und Spaniens stehen noch aus.“